Natur, Esel und Mensch treffen aufeinander
Eine Wanderung, auf der man sich mit mehr als nur der atemberaubenden Natur und menschenfreundlichen Eseln auseinandersetzt.
TEXT UND FOTOS: EVA-MARIA HEINRICH
Sofia von Mentzingen vom Unternehmen „Burros e Artes“ führt vier Kilometer nordöstlich
von Aljezur einen Hof mit dreizehn Eseln. Zusammen mit ihren vierbeinigen Freunden bietet sie
Wanderungen im Naturpark der Costa Vicentina an. Geplant hatte sie dies allerdings nicht.
Nachdem Sofia ihre Ausbildungen als Krankenschwester und Kulturmanagerin in Deutschland abgeschlossen hatte, machte sie sich 2003 über den Jakobsweg auf nach Portugal.
Eselwanderungen?
Nie im Leben hätte ich damals daran gedacht!“, erinnert sich Sofia, als wir uns in Arrifana für eine etwa vierstündige Wanderung entlang der Küste bis Monte Clérigo treffen. Begonnen hat die Eselgeschichte, als sich Sofias Mutter Langohren zulegte, sie aber nicht viel Zeit hatte, sich um sie zu kümmern. Sofia übernahm die Aufgabe und schon nach kurzer Zeit hatten die Langohren ihr Herz erobert. Kurz darauf zogen die Esel zu Sofia. Da sie keinen Transport für die Tiere hatte, legten sie den Weg zwischen Lagos und Aljezur zu Fuß zurück. Trotz der an Eindrücken reichen Reise durch den Naturpark der Costa Vicentina e do Sudoeste Alentejano(PNCVSA) kam Sofia damals nicht auf die Idee, Eselwanderungen anzubieten. Erst als ein Bekannter, der in den 1980er Jahren solche Touren mit Tieren unternommen hatte, ihr mehr darüber erzählte, entdeckte Sofia ihre Leidenschaft. Trifft man sie heute, sieht man auf Anhieb, wie glücklich sie mit dem Weg ist, den sie eingeschlagen hat.
Seit Oktober 2008 bietet sie unterschiedliche Touren an. Man kann zwischen Kurztouren durch das Hinterland von Aljezur und entlang der Küste wählen, es gibt Tages- oder Wochentouren. Ob mit oder ohne Begleitung von Sofia, kann jeder selbst entscheiden.
Die Startpunkte hängen von den Touren ab. Wichtig bei allen Touren ist, dass man Wasser sowie eine Stärkung dabei hat, sich vor der Sonne schützt und festes Schuhwerk trägt. Lange Hosen sind ebenfalls von Vorteil, da es in den Wäldern einige stachelige Sträucher gibt.
Wir treffen uns in Arrifana an der Küste nahe Aljezur. Sofia hat die vierjährige Olivia und den zehnjährigen Xiquito dabei, die vor Beginn der Wanderung gestriegelt werden. Wir lassen uns dafür viel Zeit, da wir dabei auch Vertrauen zu den Tieren aufbauen. Als ich bemerke, dass selbst zwei Esel sehr viel Arbeit machen und viel Aufmerksamkeit brauchen, frage ich Sofia, ob sie den Hof alleine führt, da es für mich schwer vorstellbar ist, täglich dreizehn Esel zu pflegen. Sofia schmunzelt und erzählt mir, dass sie momentan zu Dritt im Stall arbeiten, sie aber über die Organisation World Wide Opportunities on Organic Farms (www.wwoof.pt) auch Freiwillige willkommen heißen, die gegen Kost und Logis auf ihren Hof mitarbeiten. „Die ärztliche Versorgung muss ja tierisch teuer sein“, vermute ich. Die Antwort hätte ich mir, angesichts Sofias Kenntnissen über jede einzelne Blume in der atemberaubenden und vielfältigen Landschaft des PNCVSA, denken können: Ihre Langohren werden vor allem mit Naturheilmitteln behandelt.
Nachdem wir die Tiere gestriegelt haben und sie beladen sind, starten wir unsere Tour. Viel Gepäck haben wir aber nicht dabei. Pro Person sind nicht mehr als 12 kg, das heißt pro Esel höchstens 30 kg erlaubt. Wer mehr dabei hat, muss es selbst tragen. Heute trägt der erfahrene Xiquito das meiste Gepäck, denn es ist Olivias erste Wanderung. Mit ihr habe ich mich von Anfang an angefreundet und wir sind beide ganz gespannt, was bei unserer ersten Wanderung auf uns zukommt.
Das Erste, das ich wahrnehme, sind die unterschiedlichen Düfte, die mir in die Nase steigen. Am Wegesrand blühen die ersten Strandnelken und Mittagsblumen. Nur zwei der vielen Pflanzenarten im wunderschönen Naturpark, der sich über 80 Kilometer entlang der faszinierenden Atlantikküste von Sagres in der Algarve bis Sines im Alentejo erstreckt. Die 8,3 Kilometer, die wir von Arrifana aus Richtung Monte Clérigo wandern, reichen vollkommen aus, um ein Bild von der einzigartigen und vielfältigen Botanik zu gewinnen. 750 Pflanzenarten können im PNCVSA entdeckt werden, darunter 100 seltene Arten und zwölf endemische, die auf der ganzen Welt nur hier vorkommen, wie Biscutella vicentina, Scilla vicentina, Centaurea vicentina, Diplotaxis vicentina oder Hyacinthoides vicentina. Zu den seltenen Arten zählen der Gagelbaum (Myrica faya)oder der Speierling (Sorbus domestica). Alte Bekannte wie der Erdbeerstrauch, der Wacholder, Zistrosen und Thymian kommen ebenfalls vor.
Die Fauna weist ebenfalls beeindruckende Zahlen auf: Über 200 Vogelarten sind im Naturpark bekannt. Im Küstengebiet zählen Fischadler, Kormorane und Weißstörche dazu. Nirgendwo sonst auf der Welt nisten Weißstörche auf Felsen.
An der Landzunge Atalaia angekommen, legen wir eine Verschnauf- und Stärkungspause ein. Hoch hinaus ragt die Landzunge ins Meer und gibt nach Nord und Süd einen scheinbar endlosen Blick auf die Küstenlinie frei. Hoch oben auf ihr thront das Ribat de Arrifana. Von der ehemaligen islamischen Festung aus dem 12. Jahrhundert, die gleichzeitig als Kloster diente, ist heute leider nicht viel zu sehen, obwohl sie unter Denkmalschutz steht. Zuletzt wurden im Sommer 2014 dort Ausgrabungen durchgeführt. Portugiesische Archäologen legten sieben Gräber des zirka 900 Jahre alten islamischen Friedhofs frei und machten dabei eine merkwürdige Entdeckung: Eines der Skelette war von einer Frau. Ein kurioser Fund, weil nur Männer solche Ribats bewohnten. Hier nehmen nun Mensch und Tier eine Stärkung zu sich und ruhen sich etwas aus. Wir genießen den Ausblick und die Wärme der Sonne, bevor es weiter gen Norden geht.
Die Hälfte der Wanderung verläuft entlang der Felsenküste. Links von uns der tiefblaue und mächtige Atlantik, der immer wieder gegen die schroffen Klippen schlägt. Rechts eine blühende Farbenpracht. Eine frische Brise weht uns ins Gesicht und wir atmen die salzige Luft tief ein. Die Weite der Landschaft ist schlicht und einfach beeindruckend und macht uns sprachlos. Während die Eindrücke auf uns wirken, verlieren wir uns in unseren Gedanken und zum Abschluss merke ich, dass man bei dieser Wanderung nicht nur viel über die Langohren und die Natur lernt, sondern auch über sich selbst. Olivia und ich haben unsere erste Wanderung entlang der wildromantischen Westküste nicht nur überstanden, sondern auch eine Erinnerung fürs Leben gewonnen.
Mit freundlicher Genehmigung von Entdecken Sie Algarve/Open Media Gruppe
Ausgabe Entdecken Sie Algarve 04/15
Text und Fotos: EVA-MARIA HEINRICH